THOMAE: Brauchen einen gemeinsamen Kraftakt für die innere Sicherheit
Unsere liberale Demokratie befindet sich in einem Abwehrkampf gegen Feinde von innen und außen. Mit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel ist unsere nationale Sicherheitsarchitektur endgültig an einem Scheidepunkt angekommen. Wir erleben eine zunehmende Bedrohung und den Bruch aller Tabus durch offen zur Schau gestellten Antisemitismus.
Aufgesprühte Davidsterne an Häuserwänden und Brandsätze vor einer Synagoge machen auf schockierende Art und Weise den Ernst der Lage deutlich. Der Krieg im Nahen Osten wird auch auf deutschen Straßen ausgetragen. Zu unserer Lebensrealität gehören inzwischen Live-Ticker zu zwei Kriegen. Strafvorschriften wie das Werben für eine Terrororganisation oder Volksverhetzung sind nicht länger eine Warnung aus anderen Zeiten, sondern sind wieder von trauriger Aktualität.
So ist es nur logisch, dass sich Stimmen häufen, die nach mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden verlangen, nach Verschärfungen des Strafrechts, nach mehr Geld. Auch wenn dieser Impuls angesichts der ernsten Lage absolut nachvollziehbar ist, darf man eines nicht aus dem Blick lassen: Was hart und konsequent klingt, führt nicht zwingend zu mehr Sicherheit. Vielmehr kann es am Ende dazu führen, dass Tür und Tor für unkontrollierte Überwachung geöffnet wird und Bürgerrechte unter die Räder kommen.
In unsicheren Zeiten ist es aber entscheidend, dass die Sicherheitsbehörden nicht das Vertrauen der Menschen verlieren. Für Polizei und Nachrichtendienste muss es daher immer einen klaren, verfassungsrechtlichen Rahmen und eine effiziente Kontrolle geben. Es ist heute wichtiger denn je, von Symbolpolitik wegzukommen und nüchtern und sachlich zu betrachten, welche Maßnahmen tatsächlich für mehr Sicherheit sorgen, und welche nur für eine Schlagzeile taugen.
Ohne Zweifel, es braucht einen durchsetzungsfähigen Rechtsstaat, der seine Bürgerinnen und Bürger schützt, der Gefahren gezielt und effektiv bekämpft. Dazu gehört, dass im Polizei- und Strafrecht die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Man kann niemandem erklären, dass für Falschparken oder Schwarzfahren die Strafe auf dem Fuße folgt, andererseits aber Hamas-Unterstützer auf Berlins Straßen mit einer Verwarnung davonkommen. Deswegen ist es richtig, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann unser Strafrecht auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche hin überprüft. Dadurch werden Kapazitäten frei und die Sicherheitsbehörden können sich auf diejenigen konzentrieren, die eine echte Bedrohung für unser Land darstellen.
Es ist aber auch klar, dass wir unsere Sicherheitsarchitektur auf die wachsenden Bedrohungen von innen und von außen einstellen müssen. Es braucht einen gemeinsamen Kraftakt für die innere Sicherheit unseres Landes.
Das fängt damit an, dass wir bestehende Strukturen unserer Sicherheitsbehörden einer Generalrevision unterziehen und unsere föderale Sicherheitsarchitektur überdenken müssen. Extremistische Netzwerke und unterstützende Organisationen für Hamas und Hisbollah agieren über Länder- und Staatsgrenzen hinaus, oft getarnt unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit. Diese gilt es aufzuspüren und zu bekämpfen.
Dazu müssen alle an der inneren Sicherheit beteiligten Behörden, auf Bundes- wie Landesebene, an einem Strang ziehen, um unsere Schlagkraft zu erhöhen. Die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten aller zentralen Sicherheitsbehörden müssen effizient geordnet und besser vernetzt werden. Kooperationsplattformen wie das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) oder das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) brauchen dazu eine klare gesetzliche Grundlage. Anstatt uns mit Doppelzuständigkeiten abzufinden, müssen wir die Kompetenzen der Landesämter für Verfassungsschutz besser bündeln.
Dazu sollten die Länder staatsvertraglich eine Zusammenlegung ihrer Landesämter für Verfassungsschutz dort beschließen, wo es sinnvoll erscheint. Mit diesen Änderungen muss auch eine Neuausrichtung der parlamentarischen Kontrolle einhergehen. Aufgrund der besorgniserregenden Entwicklungen im Bereich Terror und Spionage sollte die Zuständigkeit dafür federführend in der Hand des Bundes liegen, auch um eine Zerfaserung von Verantwortlichkeiten zu vermeiden. Es ist klar: Unser Abwehrsystem muss besser aufgestellt sein, als es die Verfassungsfeinde sind.
Aufgrund der bestehenden, weit verzweigten kriminellen Netzwerkstrukturen müssen wir innere Sicherheit aber nicht nur national, sondern auch europäisch denken. Denn gerade die Freiheiten des europäischen Binnenmarktes machen sich auch Kriminelle zu Nutze.
Mit dem Vertrag von Amsterdam aus dem Jahr 1999 wurde ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geschaffen, um eine reibungslose Zusammenarbeit von Polizei und Strafverfolgungsbehörden der europäischen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Diesen gilt es wieder mit Leben zu füllen, flankiert durch Unterstützung von EU-Agenturen wie Eurojust, Europol und Frontex.
Es braucht einen verbesserten Austausch von Daten zwischen allen relevanten Akteuren auf europäischer Ebene, beispielsweise über sich abzeichnende Gefährdungslagen. Vor allem Frontex fällt hier eine maßgebliche Rolle zu, da der Schutz der EU-Außengrenzen für die innere Sicherheit Europas ausschlaggebend ist.
Das ist zweifellos ein herausforderndes Unterfangen. Doch angesichts der aktuellen Lage muss jedem klar sein, dass wir unsere nationale und unsere europäische Sicherheitsarchitektur neu ausrichten müssen, um unsere Werte und unsere freiheitliche Gesellschaft vehement gegen die Feinde der Demokratie und gegen die großen Bedrohungen unserer Zeit zu verteidigen.