Stephan Thomae

THOMAE: Wird Jan Marsalek ein dubioses Netzwerk zum Verhängnis?

Wer die Geschichte um den Skandal der Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard nur ansatzweise verstehen will, kommt an der Person Jan Marsalek nicht vorbei. Als der Betrugsfall um den Aschheimer Finanzdienstleister im Frühjahr 2020 aufflog, war das Ausmaß der mehr als dubiosen Geschichte nicht im Entferntesten zu erahnen.

Derzeit wird der Ex-Vorstand per weltweitem Haftbefehl gesucht. „Es ist schon verwunderlich, dass diese Flucht ausgerechnet zu einer Zeit gelang, in der aufgrund des Corona-Ausnahmezustands ohnehin kaum reguläre Flüge stattfinden konnten“, so Stephan Thomae. „Ohne professionelle fremde Hilfe konnte ein derartig perfektes spurloses Untertauchen kaum gelingen. Das Verschwinden Marsaleks hat einen Hauch von Agententhriller.“

Jan Marsalek hatte offensichtlich viele Kontakte in die internationale Geheimdienstszene, woraus er nie einen Hehl gemacht, sondern ganz im Gegenteil breitspurig geprahlt hat. Das allein ist schon ungewöhnlich, denn wer wirklich Verbindungen zu Nachrichtendiensten unterhält, gibt damit nicht öffentlich an, sondern behält seine Kontakte für sich. Ganz anders Marsalek: Er prahlte gern damit, unter anderem Kontakt zum russischen Nachrichtendienst (GRU) zu unterhalten. Es steht sogar die Frage im Raum, ob er dem Kreml bei der Finanzierung einer obskuren Söldnertruppe, der „Gruppe Wagner“ des geheimnisvollen russischen Magnaten Jewgeni Prigoschin geholfen haben könnte. Fest steht jedenfalls, dass der Manager, über den es beim russischen Inlandsgeheimdienst FSB eine ausführliche Akte von mehr als 600 Seiten geben soll, allein 2016 mit einem Privatjet 16-mal nach Russland gereist ist. 2017 wurde er von den Behörden in Moskau eine Woche lang festgehalten. Der Grund ist unbekannt. Laut Recherchenetzwerk Bellingcat besitzt der Manager mehrere Pässe und Diplomatenpässe unterschiedlicher Staaten. In einem Fall versuchte er unter Vorlage eines gefälschten Empfehlungsschreibens des seinerzeitigen Außenministers des Karibikstaates Grenada (das ist jene Insel, die US-Präsident Ronald Reagan 1983 kurzerhand von einem Trupp Marine-Soldaten regelrecht überfallen ließ) von einer italienischen Softwarefirma Spionagesoftware zu kaufen. Der Schwindel flog auf, und man fragt sich, was ein Vorstandsmitglied eines Finanzdienstleisters mit Spionagesoftware anfangen will.

Die Aktivitäten von Marsalek reichen weit über seinen geschäftlichen Radius für Wirecard hinaus. Auch innerhalb seines Heimatlandes Österreichs reichen sie vom Innenministerium über den Verfassungsschutz bis hin zur rechtsgerichteten FPÖ. Aber auch zu dem im Herbst 2018 in den Ruhestand getretenen ehemaligen Geheimdienstkoordinator im Berliner Bundeskanzleramt Klaus-Dieter Fritsche, der seit Frühling 2019 einen Beratervertrag mit der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung besitzt und für den seinerzeitigen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl den österreichischen Verfassungsschutz BVT neu aufstellen sollte, unterhielt Marsalek offenbar Kontakte: Fritsche versuchte Marsalek im Herbst 2019 einen persönlichen Termin bei Lars-Hendrik Röller, dem Leiter der Abteilung Wirtschaft und Finanzen im Kanzleramt, zu vermitteln. Besaß Marsalek Kontakte ins Kanzleramt? Wussten das Kanzleramt und die deutschen Geheimdienste über Marsaleks Geheimdienstkontakte, falls an denen etwas dran sein sollte? Zwei ehemalige Geschäftspartner wollen jedenfalls 2017 den BND vor Marsaleks Kontakte mit russischen staatlichen Stellen gewarnt haben.

Die immer mehr wie ein Agenten-Film anmutende Geschichte bekommt spätestens einen herben Geschmack, seitdem der Tod des Deutschen Christopher Reinhard Bauer auf den Philippinen bekannt wurde. Der ehemalige Asien-Manager von Wirecard führte zusammen mit seiner Frau zwei Partnerfirmen. Bauer sollte Teil der Ermittlungen der philippinischen Behörden sein, die wegen mutmaßlichem Betrug und Geldwäsche ermitteln. Eine offizielle Bestätigung der Behörden über den Tod steht aber bisher noch aus. Allerdings ist der mit dem Namen C. Bauer betitelte Leichnam bereits eingeäschert. Angeblich verstarb der deutsche Manager an einer Blutvergiftung.

Bleibt nun die Frage: Wo ist Jan Marsalek. Wer hat ihm bei der Flucht geholfen und was hat er vor? „Ist er ein mit allen Wassern gewaschener Agent oder gar ein Maulwurf, oder hat er sich buchstäblich „verzockt“ und mit den falschen Geheimdiensten angelegt“, fragt sich Thomae.  „Wird er geschützt und versteckt  oder ist er durch sein umfangreiches Wissen zur Last geworden und deshalb eher in Gefahr? Oder ist er nicht etwa untergetaucht, sondern um die Ecke gebracht worden?“

Möglicherweise berührt die Pleite der Aschheimer Wirecard AG nicht nur Fragen der Finanzaufsicht, sondern reicht weit hinein in die Welt der Geheimdienste.